Fotografie Frank Grellert


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Duisburg wird modern

Aber mit Widersprüchen Als ich mit der Schule fertig war, konnte ich gar nicht schnell genug weg von hier. Wir wohnten nicht weit vom Innenhafen. Als kleiner Junge war das für mich eine absolute No-go-Aerea. Heute ist es ein Youpie-Paradies mit allem, was dazugehört: Galerien, Museen, Eventspace und wie man das alles so nennt. Ab und zu treffen sich dort die Duisburger und lassen es sich gutgehen. Da, wo früher die Synagoge stand, wurde eine neue gebaut. Die Pläne hat der Architekt Zwy Hecker entworfen. Die Duisburger haben die Stelle angenommen und sogar Schimanski war schon in dieser Synagoge, um zu ermitteln. Duisburg wird schöner, manchmal muss man jedoch den Kopf schütteln: Neben Bremen und Berlin ist Duisburg die am höchsten verschuldete Stadt Deutschlands mit einer hohen Arbeitslosenrate, aber es ensteht ein Einkaufszentrum nach dem anderen, sozusagen Eröffnungsangebote a gogo. Wer soll den ganzen Ramsch nur kaufen? Die Macher zweifeln wohl selbst und stellen goldene Leitern auf, die ins Nichts führen. Der MSV spielte vorübergehend wieder in der 2. Liga. Das erste Spiel hat er gleich 3:1 verloren, aber die Duisburger Fans feierten wie verrückt. Die 2. Liga ist wieder vorbei, die Freude nicht. Sie kennen gar nicht mehr den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage: Dabeisein ist alles. Das nenn ich sportlich! Wahrscheinlich verhält es sich auch so mit den Einkaufszentren. Wie man auf den Fotos sieht, gibt es neben Kirchtürmen viele andere Türme. Das Schöne ist, dass sie gleichberechtigt neben den Kirchtürmen stehen, sie werden gebaut oder abgebaut, wenn es gerade praktisch zu sein scheint, das Stadtbild zählt nicht. So hat es lange Protest gegeben, weil die Stadtwerke den Schornstein zurückbauen werden, weil der inzwischen als Wahrzeichen der Stadt empfunden wird. Man verständigte sich darauf, das Gerüst stehen zu lassen, aber die Rohre abzubauen. Duisburg hat es nicht immer mit der Ästhetik, dafür mehr mit dem Praktischen. Und wenn es praktisch ist, dann ist es schön! Das Interessante an dieser Stadt im Wandel ist das Nebeneinander vieler Kulturen und das Zusammenwirken von Klein- und Großkariert. Man darf bloß nicht glauben, dass sich Duisburg im Kleinkarierten verliert. Im Pott gibbet auch richtig wat für die Kultur!! Da kann sich Brandenburg eine dicke Scheibe von abschneiden!! Der Wandel zur postindustriellen Gesellschaft ist die große Herausforderung. Aber Wandel war in Duisburg schon immer, das ist das Wasser, in dem man in Duisburg schwimmt. Daher geht man hier auch zu cool damit um. Aber man darf sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Ruhrgebiet und insbesondere Duisburg die größten Stahlproduzenten in Europa sind. Außerdem ist der Hafen wie der Pulsschlag der gesamt Wirtschaft des Westens. Wäre das hoch verschuldete Duisburg, auf das alles so herabschauen, plötzlich weg, würden die reichen Schwaben und Bayern ganz schon blöd gucken, denn dann blieb auch für sie der Nachschub weg und dann würden sie erst merken, was ihnen fehlt!. Auf diesen Gebieten wird nach wie vor wahnsinnig viel Geld verdient und das prägt Duisburg. Es wäre nur schön, wenn etwas mehr von diesem Kuchen auch bis nach unten durchsickern würde. Das Neue ist aber, dass es jetzt in Duisburg auch IKEA gibt. Auf einem der Fotos kann man es sehen! Dann erkennt man auch, dass IKEA immer noch ein sehr sehr kleiner Punkt im Vergleich zur Stahlindustrie in Duisburg ist. Aber richtig heftig wird es, wenn man türkische Graffitti liest wie das Allernormalste auf dieser Welt, aber eben in Jugendsprache und so fehlerhaft, wie nur einer schreiben kann, der noch halb als Türke lebt, der sich im eigenen Land mit seinem Türkisch nur schwer verständlich machen kann: "Dein unverschämt süßer Blick, Du Gottloser!" Das ist ein wehmütiger Abschied und eine zaghafte Begrüßung der neuen Heimat. Wie man an diesen Fotos erkennen kann, reibt sich in dieser Stadt das Neue an dem Alten, das oft nicht nur hässlich ist, sondern auch voller Kompromisse steckt, die Duisburg zum Flächendenkmal des faulen Kompromisses haben werden lassen. Aber es gibt auch den Innenhafen. Dort ist weltberühmten Architekten ein großer Wurf gelungen und zeigt, dass sich langsam ein neues Duisburg herausbildet, in dem das alte Zeugs neben dem modernen Kram lebt und sich miteinander arrangieren muss. Und eben dies macht Duisburgs Charme aus. So widersprüchlich wie die Duisburger Stadtlandschaft sind auch die Menschen, über die man hier mehr erfahren kann.

Johan zu Besuch - Folge 1 from Ruhrtriennale on Vimeo.

 

 

 


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  • Juni 2013 bis Juli 2017  
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  •   13.08.2023  
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