Fotografie Frank Grellert


Zur vollständigen Slide-Show  

Eine Landpartie im Havelland

... es mögen die letzten warmen Tage sein - eventuell sogar die allerletzten - dachte ich, als ich an den Martins-Gänsen in Krielow vorbeikam. Sie saßen so satt und so friedlich auf der Wiese. Im günstigsten Fall sind es noch 27 Tage bis Sankt Martin und dann werden sie womöglich alle aufgegessen.

Der Frieden täuscht also. Auf dem Friedhof in Derwitz die Grabstätte von Unteroffizier (Uffz) Otto Gädicke ( sogar im Tod wurde man abgekürzt), das arme Schwein wurde gerade mal 25 Jahre alt, und seine Angehörigen bestatteten ihn mit dem Hakenkreuz - unbelehrbar das! Das Havelland, - wie im Übrigen das gesamte Brandenburg - blieben von der Weimarer Demokratie fast vollständig unberührt, hier bestand nicht nur der Obrigkeitsstaat weiter, sondern häufig unterhielten Großgrundbesitzer ihre eigene Gerichtsbarkeit. Um dieser Nachdruck zu verleihen, zum Teil auch Privatarmeen. Diese waren willkommener Unterschlupf für entlassene Wehrmachtsoffiziere mit kriegerischen Neigungen. Die Freikorps, die u.a. für den Mord an Walther-Rathenau, aber auch für den Kapp-Putsch und den Einmarsch ins Baltikum sowie für Terroranschläge auf Repräsentanten der verhassten Weimarer Republik verantwortlich gemacht werden, fanden hier ihr warmes Nest. Hier rauschte das grausamste Personal der NSDAP vorbei: Martin Bormann, Rudolf Höß und einige andere. Hier entstand so eine Art IS à la mode der Zwanziger Jahre! Bis heute erinnern die Neu-Braunen in ihrer Namensgebung gerne an diese Zeit. - Und da liegt er nun, der „Uffz Otto Gädicke“! Möge er durchs Purgatorium gegangen sein, möge die braune Kruste von ihm abgefallen sein, damit wir sagen können: „Ruhe in Frieden, Otto!“

Vorbei an der Lilienthal-Gedenkstätte an der hübschen Feldstein-Kirche in Krielow zum Denkmal, das in der Nähe des Spitzen Berges steht (und extra mit einem Bundeswehr-Hubschrauber an diese Stelle transportiert wurde - so ist es stolz auf der Info-Tafel vermerkt), der Ort, an dem Otto-Lilienthal 1891 sein erster Flug gelang: 20 Meter in sechs Meter Höhe (Der Werderaner übertreibt mal wieder und verlängert die Strecke auf 30 m - als ob es etwas änderte!)! Der Inhalt der Senke, in die er sich todesmutig stürzte, bestand früher aus Sand und Kies. Der ist jetzt in dem ehemaligen „Kaiser-Bahnhof“ am Bahnhof Potsdam-Sanssouci verbaut. Es wäre aber übertrieben zu sagen, der Kaiser habe dem Fortschritt Platz gemacht. Da hing wohl eher Mehltau in der Luft. — So richtig weiß man offenbar bis heute nicht, auf was man in Derwitz stolz sein soll: Die moderne Technik, die unser Leben revolutioniert hat und die Globalisierung erst praktikabel gemacht hat? Oder dass es an diesem Ort geschah? Sie könnten auch sagen, dass hier der Wahnsinn seinen Anfang fand, der nun durch den enormen CO²-Ausstoß zur Erderwärmung führt, nicht ohne zuvor noch mit dem Bau des BER gehöriges Chaos zu stiften! Aber diese Gedanken sind angesichts der Martins-Gänse hier wirklich sehr weit weg. Irgendwas, Hauptsache wichtig! Oder dass es mit dem Bundeswehr-Hubschrauber herangeschafft wurde?

Diese kritische Sichtweise muss man angesichts der Schönheit der Landschaft immer wieder wegwischen, also: Die märkische Landschaft unten und aus der Luft das Trompeten der Kraniche. Sie sammeln sich jetzt und ziehen dann ab und lassen uns alleine frieren! Aber vorher machen sie sich noch über die abgeernteten Maisfelder her (genmanipuliert oder nicht, interessiert jetzt gerade nicht) und schlagen sich so richtig die Bäuche voll - Reiseproviant - und das Trompeten ist der Triumph über den Hunger! Die tollkühne Badestelle am Plessower See ist nun verwaist und wirkt gespenstisch, aber zum Glück trompeten die Kraniche noch immer und modriger Pilz-Geruch steigt in die Nase.
Und weit, sehr weit weg der Stau auf dem westlichen Berliner Ring.

 

 

 


  •  Fotografie 
  • Oktober 2017  
  • Kontakt
  •   13.08.2023  
  •  zul. angesehen: