Fotografie Frank Grellert


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Verlorene Orte - verlorene Zukunft?

Eine Reise in den Braunkohletagebau und den Hang zum Überhöhen Ehrlich gesagt kannte ich das Völkerschlachtsdenkmal in Leipzig noch gar nicht und dachte mir erst einmal nichts dabei: 1813 fand hier die große entscheidende Schlacht gegen Napoleon statt und verhinderte, dass Napoleon den Rest Europas und Russland in sein Großreich eingliedert - ein Akt der Befreiung also (mit 95 000 Toten und Verwundeten) - ein Denkmal wert! Aber das Denkmal wurde erst 100 Jahre später eingeweiht und geht auf den „Deutschen Patrioten-Bund“ zurück. Der geistige Vater ist unverkennbar: Protzig, monumental, chauvinistisch, fast schon faschistisch, könnte man sagen. Übrigens wird das Gemetzel jährlich nachgestellt. Karten müssen rechtzeitig vorbestellt werden! Das war mein erster Stopp auf der Reise. Der Hang zum Monumentalen ist geblieben, wenngleich das Monumentale nun eine andere Qualtät angenommen hat — man könnte diesen Hang nun als „Fluch zur globalen Verantwortung“ bezeichnen.

Auf der Weiterfahrt nach Zwenkau fallen mir sehr viele Schilder vor den Häusern auf „Günstig zu verkaufen!“, als befänden sich die Menschen im geordnet - ungeordnetem Aufbruch vor einer sich nähernden Bedrohung.

Aber eigentlich will ich gleich weiter nach Pödelwitz. Dort wird zur Zeit ein ganzes Dorf geräumt, um den Braunkohlebaggern Platz zu machen. Im Jahr 2018! Jeder merkt, dass der Klimawandel längst Realität ist, und jeder weiß, dass die Verarbeitung der Braunkohle einen besonders großen CO2-Ausstoß bewirkt. Was ist der Grund, dieses Treiben gegen besseres Wissen fortzusetzen?

Arbeitsplätze sagen die einen (na gut, aber ich erkenne keine Anstrengungen, alternative Arbeitsplätze in der Region zu schaffen!) Man lässt die Arbeiter am langen Arm verhungern, damit die Stromkonzerne darauf verweisen können, dass sie letztendlich im Interesse der Region und der Arbeitsplätze die Braunkohleförderung fortsetzen. Das ist verlogen! Der Konzern Vattenfall, dem zuvor viele Kohlegruben in der Lausitz gehörten, ist aus diesem Grund ausgestiegen. Andere sagen, er wolle sich lediglich rechtzeitig aus der Verantwortung stehlen. „Unsere Wähler!“, kontert die SPD und bremst gewaltig beim Ausstieg aus der Braunkohle, merkt aber nicht, dass ihre Wähler längst bei der AfD gelandet sind.

Wer setzt die Zukunft aufs Spiel?

Den Plan der Jamaika-Sondierer, kurzfristig Braunkohlekraftwerke stillzulegen und so sieben Gigawatt bis 2020 einzusparen, habe ihre Partei abgeräumt. Die GroKo verabschiedete sich von den Klimazielen für 2020. "Dafür wurden wir in der Öffentlichkeit verprügelt und die Grünen haben gefeixt", sagt Nahles. "Aber wir wussten: Wenn wir das machen, bringen wir die Lausitz um." (Andrea Nahles in Spiegel Online, 17.08.2018)

Und die Arbeiter? „Unsere Arbeitsplätze!“, kontern sie den Hinweis auf den Klimaschutz. Müssen sie ihre Häuser räumen, weil die Braunkohle-Bagger vorrücken, heißt es dagegen „Unsere Heimat!“ Und dann erhalten die Nationalisten Auftrieb. Die Lage ist verwirrend und auf verständliche Weise verwirrt zugleich. Allerdings erschien nun eine Greenpeace-Studie zur Erreichbarkeit der deutschen Klimaziele bis 2020 (siehe unten), die die Fraunhofer-Gesellschaft durchgeführt hat. Es ist wäre immer noch zu schaffen mit eher sanften Einschnitten für die betroffenen Braunkohle-Regionen in Garzweiler, Leipzig und der Lausitz. Man muss es nur wollen - und nebenbei würde die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen sofort beginnen, nicht irgendwann später! Die Chancen für eine Einsicht sind allerdings gering: Die tschechische Holding EPH hat die Braunkohlegruben in der Lausitz von Vattenfall übernommen und lässt verlauten, „EPH wolle sich in der Lausitz langfristig engagieren“ (Capital, 13.12.2017, s.u.). Wer die Bilder vom Waldsterben in der (damals) CSSR vergessen hat, findet weiter unten einen Link, um sich die Auswirkungen der Braunkohle in Erinnerung zu rufen.

Das Klimacamp in Pödelwitz war von ca. 1000 jungen Leuten besucht, die eine Woche lang in dem weitgehend verlassenen Dorf gemeinsam lebten, Workshops und politische Aktionen durchführten. „Wir haben eine andere Form des Zusammenlebens praktiziert“, erzählen sie mir am Crêpe-Stand, nachdem die meisten schon abgereist sind. Man kann es ihnen ansehen: Die Stimmung ist gut, offen und herzlich im Miteinander - ein wenig Misstrauen gegen die Kamera ist auch dabei, aber das ist verständlich.

Und Pödelwitz? Es ist ein bezaubernd schönes Dorf in einer wunderschönen Heidelandschaft (sieht man über die Wunden hinweg, die der Tagebau gerissen hat). Ich schlendere durch das Dorf, entdecke zahlreiche schattige Plätze, an denen man sich gerne aufhalten möchte. Als das Dorf noch lebte, spielten hier sicherlich viele Kinder, man traf sich, redete miteinander über die Arbeit, über Probleme, Sorgen. Ich komme zur Kirche und entdecke den Gedenkstein „Zur Erinnerung an das 25-jährige Begrüßungsjubiläum Kaiser Wilhelm II. am 16. Juni 1913 Kirchfahrt Pödelwitz“. Obrigkeitstreu waren sie hier offenbar. In einem Bergbau-Technik-Park in Großpösna entdeckte ich das ca. 50 Jahre jüngere Pendant „Vorwärts zu neuen Erfolgen im Kohleaufgebot“, das nicht weniger martialisch als das Völkerschlachtdenkmal daherkommt und den Sieg des Sozialismus vom Sieg der Braunkohle abhängig zu machen scheint. Auf dem Friedhof von Pödelwitz entdecke ich reich geschmückte Gräber. Wie muss das sein, wenn man von hier vertrieben wird und wenn man seine Toten nicht mehr ehren kann, wenn man weiß, dass selbst die letzte Ruhe der Liebsten Opfer einer zerstörerische Politik geworden ist? Das muss der Entwurzelung heftigen Auftrieb geben! Die Bundesrepublik leistet sich ein „H E I M A T -Ministerium!“ Es könnte hier aktiv werden. Aber unter „Heimat“ versteht der „Heimat-Horst“ wohl etwas anderes! Die Mobilisierung des Untertanen-Gehorsams scheint schon lange im Hang zur Größe und zum Monumentalen ihren Gehilfen gefunden zu haben, auch 2018 nach einem Sommer, in dem alle über die enorm lang anhaltende Hitzewelle mit Temperaturen bis zu 37 Grad im Schatten klagen. Man kann den künftigen Klimacamps nur Ausdauer und vor allem Erfolg wünschen! Ein Wermutstropfen: Nach der erwähnten Greenpeace-Studie müsste das Braunkohlekraftwerk Lippendorf, das mit der Braunkohle aus Pödelwitz befeuert werden soll, übrigens weder vom Netz noch gedrosselt werden.

Das, was den Braunkohle-Revieren in Garzweiler. in Sachsen und in der Lausitz gerade bevorsteht, haben das Saarland und das Ruhrgebiet gerade hinter sich. Vieles hat sehr weh getan, aber ich habe nicht den Eindruck, dass sich die Kumpels den Bergbau zurückwünschen. Vielleicht aber die Solidarität und den Zusammenhalt. Das waren Markenzeichen des Bergbaus. Spaltung? Das konnten Bergleute nie gebrauchen. Im Osten hat die AfD großen Zulauf? Wenn man Ängste als Stimme den Nazis verkauft, ist die Zukunft schon verspielt. Und das setzt dem Strukturwandel noch ein weiteres Problem oben drauf.

Auf weiteren Stationen entdecke ich ein 37 Millionen Jahre altes Fossil eines Mammut-Baums. Welche Fossile wird das Industriezeitalter hinterlassen?

Nachtrag vom 30.08.2019: Knapp ein Jahr, nachdem ich dies geschrieben habe, gibt das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVB) den klagenden Umweltverbänden Grüne Liga und der Deutschen Umwelthilfe Recht. Der Braunkohlebergbau in Jänschwalde muss gestoppt werden, solange keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgelegt werden kann. Bei manchen ist die Empörung groß. Das zeigt, dass man in gewissen Kreisen wie selbstverständich davon ausgeht, dass bestimmte Regeln für Braunkohle-Konzerne nicht gelten sollen. ' „Solche Urteile beschleunigen das Ende der Kohle weiter“, sagt Felix Ekardt, Vorsitzender des BUND Sachsen. Allein schon wegen der Marktentwicklung und strengerer umweltrechtlicher Regelungen werde die Kohle in Deutschland nicht wie derzeit geplant bis 2038 genutzt werden.' (taz, 30.08.2019) Umso mehr haben die Umweltverbände nun die Pflicht, gegen die Bräsigkeit der Energiekonzerne zu opponieren. Genauere Informationen über die Hintergründe finden sich weiter unten in den angegebenen Quellen.

 

 

 


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  • August 2018  
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