Fotografie Frank Grellert


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Andalusien

Es war gar nicht so leicht, dem Tourismus und seinen Sonderbarkeiten zu entkommen, weil dies im Moment Spaniens wichtigster Wirtschaftszweig zu sein scheint. Jenseits des Geschäfts begegne ich zurückhaltenden, warmherzigen Menschen. Jeder für sich hat neben dem Vertrauten auch etwas mir Fremdes in den Augen. Das ist eine andere Kultur. Selbst der Katholizismus ist anders als bei uns, auch das ist eigentlich eine andere Religion. Wenn man so will, ist das der Urgrund des modernen Europas, der sich sowohl das ganz Alte als auch den Pioniergeist bewahrt hat. Ich wünsche jedem Studenten, der sich mit dem Gedanken eines Auslandsjahres trägt, dass es ihn nach Andalusien (Granada, Cádiz) verschlägt. Denn hier ist die Aufbruchstimmung, wie sie mit den Entdeckungen des Kolumbus und den folgenden Eroberungen entstanden ist, spürbar: Bunt, fremd, neugierig auf Neues, stolz - und froh darüber, dass es ein geeintes Europa gibt. Mein Sitznachbar im Flugzeug nach Berlin ist Pendler und gleicht mit seinem gut bezahlten Job in Berlin das aus, was er zu Hause nicht finden kann. Wenn er in Berlin lebt, legt er seine Identität nicht ab, er ergänzt sie, liest viel deutschsprachige Literatur, reist in Länder, die für einen Spanier ansonsten unerreichbar wären (Polen, Tschechien, Russland, Litauen usw.), aber er lässt auch keine Gelegenheit verstreichen, nach Hause zu fliegen. "Nach Hause" bedeutet für ihn nicht nur den Besuch der Familie (die wohnt in Pamplona), zu Hause bedeutet für ihn, ganz Spanien zu erleben. Nicht alles möchte ich schönreden. Selten habe ich in so viele besorgte Gesichter geschaut wie hier. Das Leben ist alles andere als leicht: Arbeit wird schlecht bezahlt, man hat als Arbeiter oder Angestellter wenig Rechte und sicher ist hier gar nichts mehr. Zwar geht es mit Spanien jetzt (Ende 2016) wieder langsam aufwärts, aber die Krise ist noch nicht überwunden. Da lastet auch noch eine alte Hypothek: Der spanische Faschismus. Die Jungen sagen: "Franco spielt für mich keine Rolle!" (Wenn die wüssten!), die Älteren haben gelernt, dass man sich besser nicht exponiert. Die EU hat geholfen, den Faschismus allmählich und leise zu überwinden, - aber die große offene Auseinandersetzung steht wohl noch bevor. Immerhin gibt es hier nichts PEGIDA-Ähnliches. Das haben die Menschen hier wohl gelernt, dass von dieser Seite nichts Gutes zu erwarten ist.

 

 

 


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  • Oktober 2016  
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  •   13.08.2023  
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