Bei einem Sonntagsspaziergang im Havelland schweiften meine Gedanken in das verlorene Paradies, als ich die verfallenen Bungalows, aber auch die liebevoll hergerichteten betrachtete. Wieviel Liebe steckt darin? Wieviel Sehnsucht? Aber auch wieviel Enttäuschung? Wofür stehen die verfallenden Häuser? Für Verzweiflung oder dafür, dass ihre Besitzer inzwischen etwas weitaus Besseres gefunden haben? Wofür stehen die liebevoll hergerichteten? Für den Sehnsuchtsort, für die Utopie auf Erden oder für die Resignation, nichts Besseres gefunden zu haben?
„Paradise Lost“ von John Milton (1667) schien die Gedanken über unsere Gegenwart mit Hilfe einer großen Metapher zu steuern. Das Gedicht erzählt die Geschichte des Höllensturzes der gefallenen Engel, der Versuchung von Adam und Eva durch Satan, des Sündenfalls und der Vertreibung aus dem Garten Eden. Zugegeben, das ist sehr weit hergeholt, aber ... Die Klagen vieler in Ostdeutschland reißen nicht ab (und werden anlässlich des Jahrestages des 9. Novembers 1989 lauter). Putin führt seinen grausamen Krieg und erstaunlicherweise liegen bei einem veritablen Prozentsatz im Osten die Sympathien auf seiner Seite. Was eint diese Menschen mit Putin? Beiden ist gemeinsam, dass sie sich irgendwie als Verlierer fühlen. Das klingt zwar angesichts unserer Lebens im Wohlstand und angesichts der Oligarchendichte in Russland für beide Seiten etwas überspannt. Weder Putin noch die ostdeutschen AfD-Anhänger speisen ihre Unzufriedenheit aus einer Not. Da hat wohl ein sehr tief sitzendes Trauma die Kontrolle übernommen. Bleibt zu klären: Wer ist Cherub Michael? Etwa Twitter oder andere Social Media?? Die Verlautbarungen der Regierung? Das Genöhle der Unions-Parteien, Friedrich Merz gar? Ich würde mir wünschen, dass der Cherub Michael wieder stärker bei den Wissenschaften und den glasharten Fakten angesiedelt wird, statt bei den Verschwörungsjüngern und Alu-Hütchen-Trägern oder anderen Märchen- und Geschichten-Erzählern. Wie sieht die Welt nach der Vertreibung aus dem Paradies aus? Darf man sich etwas wünschen, sind Utopien bald mal wieder im Angebot, um das Überangebot an Dystopien jeder Art etwas auszugleichen?
Miltons Gedicht wohl nicht so sehr wie das Alte Testament dem Sieg des Guten über das Böse gewidmet, sondern eher der Beobachtung dieser Auseinandersetzung: Mit jeder neuen Rakete, mit der der Westen die Ukraine unterstützt, erscheint eine neue Teufelei Putins (und neue Raketen aus dem Westen). Wie lächerlich klingen angesichts dieser Gewaltspirale doch die Worte des damaligen US-Präsidenten von Ende Januar 1992: „By the grace of God we won the Cold War!“ Wenn man eines aus dem Gedankenschweif des Spaziergangs und aus den vergangenen 30 Jahren lernen kann: Diese Kategorisierung der Welt in Sieger und Verlierer löst kein Problem, sie garantiert eher sein Überleben! Und der dauerhafte Selbstzweifel treibt wohl eher den Satan um!
Eine kurze Zusammenfassung der 12 Bücher von Miltons “Paradise Lost„ aus der Wikipedia:
Und der Gedankenschweif im Havelland?
Immer nur an sich selbst zu zweifeln, bekommt der Welt nicht gut: Es ist hier einfach schön und ruhig und fernab! Im Land der Gewinner existiert solch ein ruhiges und friedliches Örtchen nicht mehr: Da ist alles zersiedelt, kommerzialisiert, dort verdient man viel Geld, aber dieses Geld ist dort auch nichts wert. Und wie soll es jetzt weitergehen — mit Adam und Eva? Kommen sie irgendwann an oder geht es immer weiter so?