Was bedeutet „Mensch — Maschine“? Auf den Fotos sieht man Teile von Fabriken - eines Hüttenwerks und der Zechen Zollern und Zollverein. Als die Zeche Zollverein seit 1928 durch die Architekten Fritz Schupp und Martin Kremmer im Stil der Neuen Sachlichkeit und des Bauhauses erweitert wurde, sprachen die Architekten von einer „Maschine“. Wenig später planten und bauten diese Architekten auch das Volkswagen-Werk in Wolfsburg. Die Idee dahinter: Die „Maschine“ erstellt das Produkt, der Mensch unterstützt sie dabei. Der Arbeitsprozess wird durch die Struktur der Produktionsanlage vorbestimmt, der sich Planung, Unterhaltung und menschliche Arbeit unterordnen. Die Maschinenfotos auf dieser Seite stammen zum Teil von der Zeche Zollern. Hier kann man noch ganz gut erkennen, dass man versuchte, den grauen Arbeitsalltag hinter schönem Jugendstil-Design zu verstecken.
Das Maschinenprinzip erfuhr eine Erweiterung: Nicht nur die Fabrik, sondern auch die Werkswohnungen und die „facilities“ vulgo Wohn- und Einkaufsmöglichkeiten wurden Teil des Systems. Das „System“ emanzipiert sich vom schmückenden Beiwerk und reduziert sich nüchtern auf die Funktion zu funktionieren. Der weltweite Erfolg des ALDI-Konzerns, der den Konsum darauf reduziert, dass der Konsument nun selbst die Kisten aufreißt, ist wohl der Gipfel an „neuer Sachlichkeit“! Scheinbar handelt es sich um den Totalverzicht auf Design. Aber zunächst der Reihe nach: Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert zusammen mit der 2. Industriellen Revolution entstand eine neue Ästhetik: „Es ist wohl kein Zweifel mehr, dass die Zukunft der Industrie auch auf künstlerischem Gebiete gehört, und dass unsere Zeit zu der Produktionsart, die ihr am gemäßesten ist, zur Industriekunst drängt, solange es sich um Werke der Gebrauchskunst handelt“, schrieb Peter Behrens 1907. Peter Behrens arbeitete für die „Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft“ (AEG) in Berlin-Schöneweide und schuf das erste „Corporate Design“. Damit scheint sich die Rolle des Menschen vom Subjekt des Produktionsprozesses zu dessen Attribut zu verschieben. „Ihre eigene (die der Warenbesitzer, F.G.) gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren.“, sagt Karl Marx im Kapital. Das „Corporate Design“ überlagert Individualität und Selbstbestimmung, die Technik selbst würde sich auch dieses Attributs am liebsten vollständig entledigen. Design hat längst die Funktion verloren, das Zugehörigkeitsgefühl der Produzenten zum Geschäftsablauf zu stimulieren. Heute geht es darum, mit Hilfe des „Corporate Designs“ das Überleben schlechthin an den Erwerb eines Produkts und aller seiner Updates zu binden. Das Postulat bzw. dessen Implantation in die Triebstruktur der Individuen „Wenn ich das nicht kaufe, dann bin ich nicht mehr Teil der Gesellschaft“, scheint das neue Lebensgefühl zu befeuern. Die lässig zur Schau gestellten „Apple-AirPods mit kabellosem Ladecase“ (z.Zt für 229 Euro, Materialwert geschätzt: 2 Euro) hat die Bindekraft der ALDI-Tüte übernommen. Das Design schiebt sich nun vor den Zweck, zugespitzt weiter gedacht sogar vor die im Kapitalismus hoch gelobten Freiheits- und Individualrechte. Amazon und Facebook treten diese mit Füßen, sobald sie diese als Hindernis für das Funktionieren ihres Geschäftsmodells identifiziert haben (oder wie die Deutsche Bahn es ausdrücken würde als: „Verzögerungen im Betriebsablauf“). „Funktionieren“ im Sinne dieses neuen Systems bedeutet schrankenloses „Konsumieren“ mit fast schon religiös überhöhter Inbrunst, die Sklerose gesellschaftlicher und staatlicher Bindungen schamlos in Kauf nehmend.
Die Zeiten der Zechen Zollern und Zollverein sowie des Hüttenwerks sind inzwischen vorüber. Apple, HUAWEI, Samsung usw. bestimmen die neuen „Corporate Identities“, Google und Amazon suchen nach Wegen, unsere Gedanken zu lesen und unsere Konsumbedürfnisse global in den Griff zu bekommen. Die Menschen, die als Arbeiter in die Maschine kamen, sind nicht mehr da. Sie sind entweder arbeitslos oder haben eine andere Arbeit in einer anderen Maschine gefunden. Aber es ist auch zu beobachten, dass die Maschine selbst zunehmend unsichtbar wird. Der neue Trend: Home Office — die Eliminierung des Privaten, aber auch des sichtbaren Produktionsprozesses. Der Arbeitsprozess erwirbt den Schein höchstpersönlicher Intimität — oder tilgt sie aus unserem Leben. Siri und Alexa sind mit der Ausweidung der Reste des Intimen befasst, sekundiert von „Influencern“, wobei ich mich frage, ob die Ähnlichkeit des Begriffs mit der Influenza gewollt ist oder subversiv eingemogelt wurde. Die Tage des VW-Werks sind jedenfalls durch das zwingend und dringend erwartete Ende des Verbrennungsmotors und das Tempo der technischen Entwicklung gezählt, die Maschine bleibt, sie ändert lediglich ihre Gestalt, selbst wenn diese nicht mehr im Bereich des Wahrnehmbaren wohnt. Im Laufe dieser Veränderungen wird viel Platz verschwendet wie in der South-Bronx oder auch wie in Duisburg und andernorts im Ruhrgebiet. Die betonte Sachlichkeit des Produktionsprozesses beinhaltet zugleich die Botschaft, dass Gefühle in diesem Prozess fehl am Platze sind, allenfalls sollen sie Konsumanreize wecken. Die Überlebensstrategie des Individuums — könnte man fast schon zynisch sagen — funktioniert nur noch dann, wenn es ihr gelingt, durch den entsprechenden Konsum den Beweis der Zugehörigkeit zur Gesellschaft zu erbringen. Die „Hässlichen“, das sind diejenigen, denen dies nicht gelungen ist. Und wo ist der Denkfehler dieses Systems? Es erkennt seine Beschränktheit nicht mehr, es erkennt auch nicht die ihm innewohnenden destruktiven Kräfte, selbst wenn sie ein unkontrolliertes Eigenleben zu führen beginnen — Nazis? AfD? — unschöne Eiterbeulen gegen die Auflösung gesellschaftlicher und nationaler Bindungen! Klimaveränderung? Man kann an der gegenwärtigen Diskussion ganz gut erkennen, dass sich der Fortschrittsglaube ein Jenseits des konsumorientierten kapitalistischen Systems nicht mehr vorstellen kann: „Aber für eine Blutgrätsche gegen die Braunkohle steht die SPD nicht zur Verfügung. Wir können diese Technologie nicht einfach ausknipsen.“ (Andrea Nahles am 03.08.2018). Saubere Luft wird bislang nur am Urlaubsort toleriert, im Alltag stört sie die Abläufe und das Geschäft. Das war das Ende zumindest der SPD. Und wie geht es weiter und was kommt jetzt?
In diesem Lichte trübt Design zunehmend nicht nur das Bewusstsein, sondern auch das Sein.
Frank Grellert