Caputh

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Ort der Brüche

Lohnt es sich hinzuschauen? Und wenn ja, wohin?

In Caputh gibt es Sehenswürdigkweiten: Das Schloss, die Fähre, das Fährhaus und das Einstein-Haus. Das kennt jeder. Der Nachteil von Sehenswürdigkeiten ist, dass mit dem Wort auch die andere Seite „Es lohnt sich nicht, überhaupt hinzugucken!“ gleich schon mitschwingt. Theodor Fontane verfolgte einen anderen Ansatz:

„Caputh ist eines der größten Dörfer der Mark, eines der längsten gewiß; es mißt wohl eine halbe Meile. Daß es wendisch war, besagt sein Name. Was dieser bedeutet, darüber existieren zu viele Hypothesen, als daß die eine oder andere viel für sich haben könnte. So zweifelhaft indes die Bedeutung seines Namens, so unzweifelhaft war in alten Zeiten die Armut seiner Bewohner. Caputh besaß keinen Acker, und die große Wasserfläche, Havel samt Schwielow, die ihm vor der Tür lag, wurde von den Potsdamer Kiezfischern, deren alte Gerechtsame sich über die ganze Mittelhavel bis Brandenburg hin erstreckten, eifersüchtig gehütet und ausgenutzt. So stand es schlimm um die Caputher; Ackerbau und Fischerei waren ihnen gleichmäßig verschlossen. Aber die Not macht erfinderisch, und so wußten sich denn schließlich auch die Bewohner dieses schmalen Uferstreifens zu helfen. Ein doppeltes Auskunftsmittel wurde gefunden; Mann und Frau teilten sich, um von zwei Seiten her anfassen zu können. Die Männer wurden Schiffer, die Frauen verlegten sich auf Gartenbau.“

So beschreibt Theodor Fontane den Ort Caputh. Sein Text ist ungefähr 1873 entstanden, also in den Gründerjahren, die das Leben in Deutschland stärker revolutioniert haben als jede politische Revolution: Die Städte verzeichneten ein rasantes Wachstum, das Bürgertum verdrängte zunehmend den Adel - und wer Geld hatte, wollte das auch zeigen. Nicht zu vergessen war diese Revolution nur möglich, weil gleichzeitig die Bauern pauperisiert und verdrängt wurden. Fontane zeichnet ein Bild von Caputh an der Wende zu dieser neuen Zeit. Fischerkaten gibt es reichlich, einfache Menschen, die um ihr Überleben kämpfen auch. Also keine „gute alte Zeit“!

Die Angst, vom Gründer-Fieber erfasst zu werden, vielleicht auch Hoffnungen auf Besserung waren schon da. Stößt man zum Ortsende in Richtung Ferch vor, erkennt man mühelos, dass der Investor sich hier bräsig „ausprotzte“. Das ganze Gegenteil des an die Caputher Gemünde gequetschten Ortes. Wer heute nach Caputh kommt, denkt an Einstein und an einen Ort, der für wohlhabende und/oder bedeutende Berliner eine Sommerfrische darstellt. Das war nicht immer so: Mit dem Wachstum Berlins zu einer Industrie-Metropole siedeln sich in Caputh - wie auch entlang des gesamten Schwielow-Sees - Ziegeleien an, die Gegend wird zunehmend proletarisch. Und: Wächst Berlin, braucht man Häuser und dafür Steine. Damit entstehen (schlecht bezahlte) Arbeitsplätze und wohlhabende Ziegelei-Besitzer, die auf den brandenburger Landadel teils mit Häme, teils mit äffischer Imitationsfreude herabzuschauen begannen. Das, was sich sonst nur der Adel leisten konnte, kann sich in dieser Zeit nur das wohlhabende Bürgertum leisten. Alte Gewohnheiten gehen verloren und werden durch neue Abhängigkeiten ersetzt. So ließ sich der Ziegeleibesitzer Kaehne um 1820 in Petzow ein Schloss errichten. Das hatte in seinen Ohren wahrscheinlich keinen guten Klang. So nannte er es „Rittergut“. Die Sehnsucht des Bürgertums, die gesellschaftliche Stellung des Adels bruchlos zu übernehmen, ist kaum zu übersehen.

Mit dem Niedergang der Ziegeleien tritt der Obstanbau an ihre Stelle - bis er als Erholungsort für Wohlhabende entdeckt wird (Einstein eben). Während der Nazi-Zeit gibt es hier ein von Gertrud Freitag betriebenes Jüdisches Kinder- und Landschulheim, das reformpädagogischen Ansätzen folgt. Gerüchteweise war es auch zeitweise eine Art Zuflucht für die jüdischen Schüler der Berliner Kaliski-Schule im Grunewald und in Dahlem. Baulich dürfte es den Ort aber nicht geprägt haben. Gertrud Freitag kam 1943 in Auschwitz um.

Nach dem Fall der Mauer 1989 reichte es den Caputhern. In der Zwischenzeit hatte man es sich gemütlich gemacht. Am Ortsrand sprossen Zeltplätze und Badestellen wie Pilze aus dem Boden, Ausflugslokale folgten. 1959 erfolgte die Aufschüttung des Sandstrandes für das Strandbad Templin. Im Jahr zuvor wurde die Straße entlang des Templiner Sees und des Schwielowsees gebaut. Nun waren Templin und Caputh mit dem Trabbi erreichbar. LPGs sorgten leidlich für ihre Mitglieder. Caputh hatte einen hohen Erholungswert für Berliner und Caputher. Es war abgeschieden, schön und ruhig. Dann erfasste die Caputher der Schrecken der Wende! Phantasien über das Wüten des Investors wurden wach. Das kannten sie schon von früher! Sie erwogen aus Angst vor neuerlichen Umbrüchen eine Zuzugssperre nach Caputh. Was daraus wurde, weiß ich nicht. Der „Ort der Gelassenheit“, wie die Berliner Morgenpost Caputh betitelt, scheint es nicht durchgängig gewesen zu sein.

Bis heute findet man diese Zeichen der Umbrüche in Caputh, jenseits der Liste der Sehenswürdigkeiten und Baudenkmale. Gentrifizierung gibt es hinreichend, die andere Seite auch. Man sieht den ehemaligen DDR-Erholungsort, man sieht das kleine improvisierte Glück - und man sieht das Bestreben, einfach in Ruhe gelassen zu werden. Nur - die Zeiten, sie waren nicht so, sie sind nicht so und werden es wohl nie sein, leider.